Franz
Listzs Technische Studien, Alfred Cortots "Grundbegriffe der
Klaviertechnik" und seine Ausgabe der Chopin-Etuden, sowie das virtuose
Klavierspiel im Allgemeinen.
5.1.2013
Franz
Liszt kennt irgendwie jeder. Mehr oder weniger. Meistens eher weniger -
halt der Typ der so super klavier gespielt hat, gut aussah und jede
Menge Bunnies(Groupies, Haserln) hatte.
Sein
Spätwerk ist eine musikgeschichtliche Sensation und ziemlich unbekannt.
Noch unbekannter dürften nur noch seine "Technischen Studien" sein.
Die
Geschichte sagt, daß Liszt über 12 Jahre im stillen Kämmerlein an ihnen
gearbeitet hat, daß er sie nicht im Unterricht verwendete und daß sie
erst 1 Jahr nach seinem Tod veröffentlicht wurden -von einem
gewissen Alexandder Winterberger, einem Schüler Listzs. Zuvor war das
gesammte Manuskript verschlampt worden und erst mit jenem alexander
Winterberger tauchte es wieder auf. Woher er es hatte, darüber schwieg
er sich aus.
Aber
um all dies soll es hier nicht gehen. Sondern ob diese riesige Sammlung
von technischen Übungen die Lizenz zum vollendeten Klaviersdpiel in
sich trägt. Und ob es auch andere Wege dahin gibt. Und ob verschiedene
Menschen verschiedene Methoden brauchen.
Worum geht es in diesem Werk?
Liszt
hat ganz einfach so ziemlich alle ihm bekannten technischen
Herausforderungen beim Klavierspielen zusammengetragen -
schwerpunktmäßig natürlich beim virtuosen Klavierspielen. Dann hat er
sie einigermaßen systematisch geordnet in 12 Kapitel d.h.
Themenbereiche wie zb "Skalen in Sexten und Terzen. Skalen mit
abwechselnden Händen." oder "Gebrochene Oktaven, Skalen in
Oktaven...usw". Alle Klavierspieltechniken hat übrigens auch Liszt
nicht erfaßt zb das polyphone Spiel - also die rhythmische , dynamische
und artikulative Unabhängigkeit der Finger einer Hand. Seltsam
eigentlich, weil er doch ein Verehrer Bachs war und manchmal an einem
Abend das gesamte Wohltemperierte Klavier - also Band 1 + 2 spielte -
auswendig versteht sich (ein Klavierabend dauerte zu Liszts Zeiten
durchaus 4 oder 5 Stunden).
Bei
den Trillerübungen gibt er sich gar nicht erst mit Zwei-Noten-Trillern
ab, sondern geht direkt zu Trillern mit Doppelgriffen, Akkorden und
Oktaven. Auf die Technik, daß eine Hand zugleich Triller und dazu noch
eine Melodie spielt (was eigentlich auch wieder unter die Rubrik
"Polyphones Spiel in einer Hand" fällt), geht er nicht ein, auch wenn
er es so reizvoll in seiner "La Campanella" Etude verwendet. Vielleicht
liegt die Erklärung darin, daß dieses technische Problem nicht direkt
mit virtuosem, spektakulärem Klavierspiel zu tun hat und er sich
gedacht hat "Nö, laß mal....is doch albern...sowas von albern..." (1).
Oder daran, daß Kontrapunkt und Polyphonie nicht unbedingt den
Schwerpunkt seiner Kompositionen ausmachen - ich sage bewußt "nicht den
Schwerpunkt", denn Liszt hat auch Erstaunliches auf diesem Gebiet
geleistet - ich nenne nur die finsteren harmonischen Labyrinthe seiner
Trauergondeln...eine düstere Welt voll Chromatik , extremsten
Akkordgebilden und Alterationen, die stringent in eine neue Klangwelt
führt: in die Atonalität.
Zurück
zu den polyphonen Übungen für eine Hand:Zum Glück hat Cortot in seinen
Grundbegriffen der Klaviertechnik drangedacht. Liszts Sammlung ist ua
auch deshalb so gewaltig, weil er eine jeweilige Übung dann noch in
allen anderen Dur - und Molltonarten ausnotiert hat. Julio Esteban hat
beim Alfred Publishing eine sehr gute Ausgabe herausgebracht, in
welcher er es nach ein paar Beispielen in veschiednen Tonarten gut sein
läßt mit dem Ausnotieren, welches eine Fleißarbeit bei Liszt war, aber
keine kreative - und jeder Pianist der sich mit Übungen zur Virtuosität
beschäftigt sollte in der Lage sein, dieselben in alle möglichen
Tonarten zu transponieren. Desweiteren hat Esteban hier und da einige
spieltechnische Tips hinzugefügt wie zb "Aus dem Handgelenk spielen"
etc. Allerdings zu wenig für einen blutigen Anfänger im Selbststudium.
Liszt hat sich zu solch "profanen" Dingen nicht geäußert - laut seinen
Schülern auch nicht im Unterricht. Naja , verständlich , daß es ihm zu
blöd war, einem Schüler erst noch die technische Basis einzutrichtern -
die mußte stehen - es ging um das Interpretatorische.
Mal
ganz grundsätzlich gesagt: es ist praktisch unmöglich, alle nur
möglichen technische Problem beim Klavierspielen aufzulisten, denn
diese sind so zahlreich wie die gesammte Klavierliteratur umfangreich
ist, nämlich schier unendlich.
Liszt hat schlicht und einfach die Probleme ausgewählt, die er für das virtuose Klavierspiel als am wichtigsten hielt.
Irgendwie
findet man fast alle seine Übungen auch in Etuden von Czerny
,Moscheles, Chopin und Liszt selber - aber bei Liszts Technischen
Übungen" geht es um das "nackte Grundgerüst" ,er hat gar nicht erst
versucht, es in irgendwelchen halbgaren Kompositionen zu verkleiden.
Und um die logischen Permutationen dieser nackten Grundgerüste.
Irgendwo dazwischen steht zb Louis Köhler mit seinen "Täglichen
Repetitionen" - quasi Übungen mit wenigstens der Unterhose an. Mit
etwas Kreativität kann man sich die meisten Übungen auch selbst
ausdenken. Aber nicht unbedingt alle - und diese allein sind schon Gold
wert. Und manche Menschen tun sich leichter mit vorgefertigten Übungen,
so einfach ist das.
Interessant
ist auch die chromatische Übung S.71 - 75 (Beispiel #). Hier hat sich
Liszt ganz klar bei Chopins Etude 2/Op.10 bedient und eine richtige
kleine Komposition erschaffen, zum Vortrage geeignet. Liszt wollte sich
dieses neue "Klavierfeature" wohl nicht entgehen lassen. Und er läßt
dankenswerter Weise auch die linke Hand mit dieser Technik vertraut
werden.
Eine
Reihe von Listzs Technischen Übungen arbeiten mit "gefesselten Fingern"
(Bsp. S.7 und S.166). Diese Methode soll die Unabhängigkeit, Kraft und
Beweglichkeit der einzelnen Fingern fördern. Ich finde, daß diese Art
Übungen - wenn überhaupt - dann mit großer Vorsicht zu geniessen sind,
denn sie führen bei (auch gutgemeinter) Übertreibung schnell zu
Überlastungserscheinungen und Verletzungen. Besonders gefährlich sind
solche wie auf S.166 ff: hier sind alle Finger eh schon mehr oder
weniger stark angespannt (nicht wenige Pianisten/innen können solche
Akkorde wegen zu kleinen Händen erst gar nicht greifen) - die
Belastungswinkel für die Finger - und Handgelenke sind ungünstig.
A.
Cortot geht bei diesem Thema deutlich humaner vor: bei Übungen mit
gefesselten Fingern gibt er die Anweisung, daß die "Gefesselten"
während einer Übung NICHT ihre Tasten niedergedrückt halten müssen,
sondern daß ein Platzieren über ihren Tasten ausreicht. Was für
wesentlich weniger Spannung sorgt. Desweiteren unterscheidet er
zwischen "Kurzfingerhand und "Langfingerhand" und weißt bei
entsprechenden Übungen darauf hin, daß diese nur für Langfingerhände
ist (besonders S.60 ff). Ein feiner Zug.
Nun
wieder die Frage: ist Listzs Werk DIE Lösung oder ist es nicht besser,
ein bestimmtes technisches Problem in einem hochqualitativen Musikstück
sozusagen vor Ort anzugehen, wie es zb Heinrich Neuhaus propagierte?
Oder wie A. Cortot es bei seiner Ausgabe der Chopin-Etuden machte,
indem er ein Problem herauspickte und zu selbigem eigene kreative und
meist noch schwerere Übung dazu erfand? Ich denke, es gibt hier keine
allgemeingültige Antwort. Für mich selebr kann ich sagen, daß ich
manchmal Phasen habe, wo mir Liszt "stupende" Übungen gut tun, aber
meistens bevorzuge ich die Cortot - Methode. Ach ja, es gibt da auch
noch einen Herrn Godowsky - aber dazu ein andermal - da geht es dann um
Übervirtuosität.
Die
größere Leistung eines Autoren dürfte es wohl sein, eine technische
Übung in ein gelungenes Musikstück zu verpacken, wie es zb Chopin,
Debussy, Burgmüller, Heller, dem Bach-Clan und und und auch Liszt
selbst gelungen ist. Das bloße Sammeln von Grundübungen und deren
Permutationen und Transpositionen - das ist zwar eine
Fleißarbeit, ist aber meiner Ansicht nach nicht so hoch einzuschätzen.
Naja, ich meine, die paar Dur - und Molltonleitern oder Akkorde über
jeweils zwei oder drei Oktaven auszuschreiben, das kann sogar ein
Nichtmusiker - eines Klavier -und Musikgenies wie Liszt hätte es dazu
nun wirklich nicht bedarft. Es ist schon seltsam. Und gabs das alles
nicht eh schon bei Hanon oder so?
Generell
glaube ich und habe es auch schon öfters von anderen Pädagogen gehört,
daß ein Schüler tendenziell so spielt, wie sein Lernfutter ist. Wenn
jemand also lange Zeit praktisch nur Tonleitern und Arpeggien übt und
nicht eine starke Musikalität in sich trägt, so wird er technisch gut
aber ziemlich gefühllos und kalt spielen. Der Kaiser Joachim der
Einzige - übrigens meines Wissens nach der einzige Kaiser, der auch
noch Papst war - hat mal vom "Beamtentum am Klavier" gesprochen - "hier
eine Tonleiter, da drei Akkorde und - ah ja, da kommen ja schon die
Doppeloktaven der Coda...". Die Beamten mögen mir verzeihen - der
Kaiser hat´s geschrieben. Aber ich finde das Bild treffend. Er hat es
übrigens in Bezug auf Ludwig Hoffmann geschrieben, der einige Liszt
Einspielungen auf den Markt gebracht hat, die in ihrer spieltechnischen
Perfektion, Klarheit und Geschwindigkeit schier unglaublich sind und
einem Richter vielleicht das Wasser reichen können. Aber trotzdem ist
Hoffmann nie allzu berühmt geworden, wurde nie als "Großer des
Klavierspiels" gehandelt - weil bei seinem Spiel keine Funken stieben
und es nicht nach Pech und Schwefel riecht. Er arbeitet eine
Liszt-Etude ab wie ein Antragsformular für Elterngeld. Ich leg diese
LPs immer wieder auf und wundere mich, warum es trotz der
offensichtlichen Virtuosität so brav, fast langweilig klingt. Und dann
hab ich eine eher seltene Doppel-LP Liveaufnahme auf der Sviatoslav
Richter ua die "Irrlichter" und die "Harmonies du soir" spielt -
und ich mich jedesmal frage, wie ein Mensch so fantastisch
Klavierspielen kann.
Die
"Irrlichter" nicht nur doppelt so schnell wie Arrau, sondern auch
wirklich gespenstisch. Und was Richter bei den "Harmonies du soir" aus
dem "piu lento con intimo sentimento" - Teil für ein namlos trauriges
Stück Musik macht und was dann im "molto animato" fff - Teil losbricht
- dazu fehlen mir die Worte. Das muss auf jeden Fall ein äußerst
turbulenter Abend (in Liszts Kopf) gewesen sein.
Cortos
Grundbegriffe der Klaviertechnik dagegen geht eminent tief in das WIE
der Ausführung, die Arbeit der Finger, Handgelenke usw für sich und
miteinander. Auch er geht auf alle möglichen technischen Hürden am
Klavier ein, aber sagt auch ganz konkret, WIE die Finger etc arbeiten
müssen, um dieselben nehmen zu können. Sogar gymnastische Übungen
werden hier vorgestellt.
(1) vgl Helge Schneider "Berühmte Zitate"